Ohne Volk ist alles nichts (Westfalen-Blatt vom 26.9.2000)

von Rolf Dressler _____________________________________________________________________

In der repräsentativen Demokratie das ist wahr - wählt das Bürgervolk in regelmäßigen Abständen und beauftragt auf Zeit diejenigen Politiker, von denen es sich am ehesten die beste Vertretung seiner Interessen verspricht. Gleichwohl mehren sich alarmierend die handfesten Beispiele dafür, dass eben diese Damen und Herren Abgeordneten oft sehr rasch »vergessen«, weshalb diesmal sie und nicht die Konkurrenz die Regierungsgeschäfte gemeinwohlfördernd führen sollen.

Gleich doppelt typisches Negativbeispiel: die Rechtschreibreform. Hier schwang sich die staatsmächtige Kultusbürokratie selbstherrlich zum verschlimmbessernden Richter über unsere Muttersprache auf, das wohl wichtigste Kulturgut überhaupt. Und bis heute setzt sie sich bockig-besserwisserisch über die ablehnende, überwältigende Mehrheitsmeinung der Menschen hinweg. Dabei zeigte sich die amtliche Politik in dieser grundlegend bedeutungsvollen Eingriffssache sogar noch mal steigerungsfähig.

Weitgehend einmütig hebelten Schleswig-Holsteins Landesregierung und Opposition den ausdrücklich erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit aus, unverzüglich zur bisherigen bewährten deutschen Rechtschreibung zurückzukehren. Der glasklare Volksentscheid wurde kurzerhand für null und nichtig erklärt. Ein unglaublicher, undemokratischer Akt wider alle wohlfeilen sonntagsrednerischen Beteuerungen unserer sogenannten politischen Klasse und gar der grünen und roten Frontkämpfer für »fortschrittliche Basisdemokratie« und wie die hübschen Ideologensprüche sonst noch heißen.

Zweites Beispiel: der selbstgewisse Parforce-Überrumpelungsritt hin zur neuen europäischen Heilsbringer-Währung, dem «Euro«.

Den von den meisten Medien fabelhaft gestützten Chefpropagandisten von gestern hat es angesichts des Euro-Dauersinkfluges offenbar so sehr die Sprache verschlagen, dass sie sich wie die Mäuschen in die Polittheater-Kulisse zurückfallen lassen. Dort können sie ziemlich sicher sein vor unangenehm bohrenden Fragen zu Recht besorgter Bürgersleute. Auch in dieser existentiell wichtigen Angelegenheit - der Beerdigung der D-Mark, des jahrzehntelangen Stabilitäts- und Wohlstandsgaranten Nummer l - wurde in den Politiker-Führungsetagen weitestgehend "auf Durchzug geschaltet".

Mögen die längst offenkundigen strukturellen Krisensymptome der neuen Europa-Währung auch noch so deutlich sichtbar sein, vom hohen Ross herunter speist man die Bürgerschaft, vor allem auch das deutsche Arbeitnehmer- und Steuerzahler-VoIk, mit blanker Gesundbeterei und dem soundsovielten, abermillionen teuren Werbefeldzug für den Euro ab. Dessen immer neue Niedrigstkurse, so die Berufsbeschwichtiger, beflügelten doch die deutsche Exportwirtschaft: der konjunkturelle Höhenflug der US-Wirtschaft könne ja nicht ewig andauern; eines Tages vielmehr werde der Euro ganz gewiss kräftig Boden gutmachen im Wettbewerb mit dem mächtigen Dollar, der Welt-Leitwährung schlechthin: und zurückdrehen könne man das Ganze sowieso nicht, usw.. usw..

«Europa braucht das Volk«, so betitelte dieser Tage eine namhafte überregionale Zeitung ihren Leitartikel. Wie Millionen Europa-Bürger fühlt sich augenscheinlich auch der Verfasser dieses Beitrages genervt von der Dickfälligkeit der volksfernen Entscheider in den Europa-Gipfelzirkeln von Politik und Brüsseler Bürokratie. Und in der Tat: Volk hin, Volkes Besorgnismeinung her - die hohen Damen und Herren in den wohltemperierten Konferenzsälen und diskreten Hinterzimmern der Diplomatie möchten offenkundig auch fortan unbehelligt ihre Kreise ziehen. Nein, in ihrem selbstgesetzten, traditionellen Dreiklang wollen sich die schmeichlerisch so genannten europäischen Eliten vom niederen Wählervolk keinesfalls stören und beengen lassen. Ihre Losung heißt: Wir marschieren nach Groß-Europa - das Volk mag skeptisch sein, Bedenken hegen, doch das hält uns nicht auf in unserem Drange in die goldene Zukunft.

Europa aber braucht das Volk! Anders geht es nicht.